Instabile Wesen
Yukari Kosakai
Instabile Wesen
Installation
Eröffnung:
Samstag, 08. November 2025, 18 Uhr
Einführung: Manya Gramsch
Yukari Kosakai: Instabile Wesen // Eröffnungsrede vom 08.11.2025
Betrachten wir die Arbeiten von Yukari Kosakai, so sehen wir filigrane Konstruktionen aus Holz – Apparate, die präzise geplant und ausgeführt wurden. Außerdem finden wir meist weißes Wachs, rote Wärmelampen, Gewichte oder metallische Federn vor. Schnell wird uns beim Betrachten klar, dass es eine Wechselwirkung zwischen den Materialien geben muss, doch die Entfaltung der in den Installationen wirkenden Kräfte, bleibt unserem kurzweiligen Blick zunächst verborgen.
Erst im Zusammenspiel von Zeit und Umgebungsbedingungen offenbaren die Installationen ihre Wandelbarkeit, lassen erkennen, wie Bewegung das Bild der Holzkonstruktionen langsam verändert. In einigen Arbeiten schmilzt das Wachs z.B. durch die Wärmelampen oder die steigende Raumtemperatur, wenn etwa viele Personen anwesend sind. Es verformt sich und lässt eiserne Gewichte erscheinen, die aus dem Inneren der Wachskörper hervortreten. In anderen Arbeiten wird das Wachs durch Druck, Zug oder Umgebungstemperatur so verformt, dass sich die gesamte Installation in Bewegung versetzt und neue Gestalt annimmt – so wie es auch in dieser Ausstellung der Fall ist. Eine Bewegung die sich jedoch so langsam vollzieht, dass sie im Moment des Betrachtens eher erahnbar als erfahrbar bleibt.
Die sehr genaue, technische Planung und Ausführung der Installationen wird für die Ausstellungsdauer also erweitert um die Komponente des Unplanbaren oder Experimentellen – denn wie die Werke am Ende aussehen werden, ist stets ungewiss und weitestgehend unbeherrschbar. In Kosakais Arbeiten gehen die Wirkungsfelder Technik – assoziiert mit Begriffen wie präzise, hart, oder kontrolliert – und Natur – eher als weich, erneuerbar oder wild besetzt – eine ästhetische Symbiose ein, die auf eine poetische Art unseren Alltag reflektiert und Fragen zu unserem Umgang mit Technik und Natur, aber auch mit Zeit und persönlichen Ressourcen in den Raum stellt.
Dabei geht es der Künstlerin grundsätzlich darum, einerseits die Ambivalenz und Vielfalt von Wertvorstellungen zu hinterfragen, die wir alltäglichen Materialien zuschreiben. (Also was erscheint uns wertvoller als anderes und warum ist das eigentlich so?) Andererseits interessiert sie sich dafür wie komplexe Technologien, von beispielsweise Geräten wie dem Fernseher, über das Smartphone bis hin zum Staubsaugerroboter unseren Alltag zwar prägen und erleichtern, aber die eigentliche Technik dahinter für uns in der Regel verborgen bleibt. Daher versucht sie diese unsichtbaren physikalischen Prinzipien der uns umgebenen Technologien immer wieder neu zu vereinfachen, in Holzkonstruktionen zu übersetzen und so in ihren Installationen sichtbar oder nachvollziehbar zu machen.
Für diese Ausstellung hat Kosakai zwei neue Arbeiten entwickelt, die die Lesart ihres künstlerischen Schaffens um eine weitere Ebene ergänzen. Bereits der Ausstellungstitel „Instabile Wesen“ deutet auf etwas Lebendiges hin. Und auch die Werke selbst „Blühunfähige Wesen“ sowie „Operierende Krallen“ geben durch ihre Titel über die Materialität hinaus den direkten Bezug zur Natur preis. Hier korrelieren die intendierten Bewegungen der Konstruktionen mit den Werktiteln – so wird sich z.B. die Arbeit „Blühunfähige Wesen“ ähnlich einer Knospe, die zur Blüte wird, langsam in den Raum entfalten, sobald das Wachs nachgibt und die Bewegung der Holzarme zulässt. Im Zusammenspiel von Installation und Werktiteln wird so die Assoziation geweckt, dass wir nicht nur technische Apparate betrachten, sondern vielmehr lebende Wesen, die nach ihren ganz eigenen Regeln existieren.
Dies lässt uns vielleicht daran denken, wie wir als Menschen mit der Natur als Lebensraum umgehen, wie zerbrechlich dieser ist, oder wie wir als Gesellschaft Natur z.B. in der Agrarwirtschaft durch den Einsatz von Pestiziden, automatisierten Riesengewächshäusern oder künstlicher Bestäubung versuchen technisch zu „optimieren“. Vielleicht erweckt das Zusammenspiel von Titeln und den langen, filigranen „Holzbeine“ der Konstruktionen bei Ihnen aber auch Gedanken an z.B. Insekten, an Bereiche des Natürlichen, die vielen von uns eher unangenehm anmuten oder sogar Ekel auslösen können – selbst wenn die Natur uns sonst häufig als Erholungs- und Sehnsuchtsort erscheint.
Diese ambivalenten Assoziationen sind kein Zufall, sondern legen Zeugnis ab von dem facettenreichen Spannungsfeld, das den inneren Antrieb für Kosakais künstlerisches Arbeiten darstellt. In ihren Werken verdeutlicht sich immer wieder neu eine Suche nach Antworten auf die Gemengelage, dass wir einerseits Natur erhalten wollen, dem Natürlichen nah sein möchten und andererseits auch Angst vor dem Unkontrollierbarem und Verlangen nach technischem Fortschritt haben, der den Naturraum, wie wir wissen, zunehmend belastet.
Doch mehr noch, die Assoziation zu lebendigen Wesen verweist darüber hinaus auch auf die Wurzeln der in Japan geborenen Künstlerin und deutet auf einen Glaubenssatz der japanischen Kultur hin, der zwar aus der vorbuddhistischen Zeit stammt, jedoch auch heute noch eine wichtige Rolle als Träger traditioneller Werte in Bezug auf Respekt vor der Natur oder erwünschtem Sozialverhalten einnimmt:
Gemeint ist der Glaube an sogenannte Yōkai. Das sind Geister oder Dämonen, die auf das Handeln der Menschen reagieren und bestrafen oder belohnen können, die positive wie negative Energie in Balance halten. Ursprünglich, glaubte man, dass alle Dinge – also Naturobjekte, Nahrungsmittel, aber auch Häuser oder andere Alltagsgegenstände – beseelt waren. Im Laufe der Jahrhunderte wurden daraus eigenständige Entitäten, die mit den unterschiedlichsten Lebensbereichen verknüpft sind. Insbesondere Kindern werden so etwa Yōkai-Geschichten erzählt, um ihnen die Wichtigkeit von Achtsamkeit und Ordnung zu vermitteln. Über ganz konkrete moralische Belehrungen wie „Lass keinen Müll liegen“ oder „Verschwende keine Lebensmittel“ (sonst kommen die bösen Geister), wird Kindern so schon früh eine entscheidende Lebens-Philosophie eingeprägt, die wir auch in Kosakais Arbeiten entdecken können: Alles ist miteinander verbunden und das Unsichtbare beeinflusst stets das Sichtbare!
In diesem Kontext scheinen die „instabilen Wesen“ dieser Ausstellung also nicht nur einen Hinweis auf die ganz persönliche Motivation und den inneren Antrieb für das Schaffen Kosakais zu geben, sondern sie treten uns als poetisch-ästhetische Ermahnungen entgegen und laden uns ein, unser eigenes Handeln sowie unseren persönlichen Alltag zu reflektieren – in ihrer schlichten Formsprache jedoch, anders als diverse Yōkai es täten, ohne einen erhobenen Zeigefinger oder Drohgeste, sondern ganz sacht und offen.
In der Übersetzung von natürlichen Prozessen oder Bewegungsmustern in einfache technische Apparate, spiegelt Kosakai uns erneut wie eng Technik und Natur in unserer Welt miteinander verzahnt sind und wie nicht sichtbare Kräfte und Gesetzmäßigkeiten unser Leben beeinflussen. Viel mehr noch, verdeutlicht der langsame Wandlungsprozess der Arbeiten, der, wie bereits erwähnt, im Augenblick des Betrachtens eher eine Ahnung als eine Gewissheit bleibt, wie uns Ruhe und Geduld durch die Technisierung des Alltags verloren gegangen sind oder zunehmend verloren gehen.
Die Installationen Kosakais verleihen mit ihrer schlichten Schönheit also nicht nur alltäglichen Materialien und Prozessen um uns herum eine poetische Dimension, sondern wir werden eingeladen über unseren eigenen Rhythmus, unser Verhältnis und unseren Umgang mit Ressourcen wie Technik, Natur und Zeit zu reflektieren. Kosakais Arbeiten vollziehen so gewissermaßen nicht nur ein Sichtbarmachen von verborgenen technischen Prozessen, sondern ebenso von verborgenen Bedürfnissen in uns selbst.
In diesem Sinne: Wünsche ich Ihnen viel Freude in der Ausstellung. Kommen Sie gerne noch einmal wieder, um den Wandlungsprozess der Arbeiten zu begutachten und nehmen sie das Angebot zur achtsamen Entschleunigung und Besinnung auf ihr Inneres wahr und entfliehen vielleicht noch einmal der Hektik der nahenden Vorweihnachtszeit.
Manya Gramsch M.A.
Ausstellung:
09. – 16. November 2025
Geöffnet:
Samstag + Sonntag, 15 – 18 Uhr
